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Lisa Herfeldt
social slush
8. November - 14. Dezember 2019

Lisa Herfeldt, social slush

Minimalismus ist zur ästhetischen Sprache der Gentrifizierung und Verdrängung geworden. In Metropolen wie Berlin werden schmale, minimalistische Town Houses mit Buchenholzbalkons zwischen alte Bausubstanz gequetscht oder Fassaden von Mietshäusern nach der Sanierung durch Investoren schön schlicht herunter reduziert, um zu signalisieren, dass hier jetzt wirklich reiche und geschmackssichere Menschen wohnen. Die Bewohner dieser Häuser vertreten häufig ebenfalls einen gemäßigten minimalen Lifestyle. Viele von ihnen glauben, dass Minimalismus eine Art Philosophie ist, die hilft, mehr Konzentration, Balance und Kreativität zu finden, so wie Eat Pray Love oder Marie Kondo für Fortgeschrittene. Natürlich soll die Umgebung mitsamt der Bevölkerung nicht nur minimalisiert und aufgeräumt werden. Der Fokus soll auf das Wesentliche, das übriggebliebene Detail gelenkt werden, das locker arrangiert und wie zufällig vorgeführt wird: das Kind im Babboe-Lastenfahrrad, die folkloristische Wolldecke vor der Waschbetonwand, das Liv Ullmann-Brillengestell, ein spirituelles Linien-Tattoo, das unter dem Ärmel einer A.P.C.-Bluse hervorblitzt.

Ein etwas in Vergessenheit geratener Pate der poetisch-reduzierten Ästhetik der Kreativ-Papis und Antennendutt-Muttis ist das sogenannte „Post-Minimal“ der späten 1960er-Jahre. Damals injizierten Künstler wie Eva Hesse, Robert Morris oder Paul Thek Sex, Queerness, Politik und Poesie in die Reinheit der Minimal Art. Wie sie wollte eine ganze Künstlergeneration aus dem White Cube ausbrechen, Subjektivität ins Spiel bringen, ohne dabei auf Leere, Distanz, Reduktion zu verzichten. Das war damals mit einer großen Utopie verbunden: dass Kunst gesellschaftlich etwas bewegen kann, sich mit dem Leben und der Gemeinschaft verbindet.

Die gebildeten Hipster von heute bedienen sich ähnlicher Strategien. Sie absorbieren die Ästhetik des Post-Minimal und der feministischen Avantgarde, streuen noch etwas Eighties-Hedonismus dazu und verrühren das Ganze mit einer deftigen Prise Hygge, Koks und Biedermeier. Das Resultat ist eine Untotenkultur, die progressiv, grün, liberal, klimaschonend, feministisch ist und dabei nur eine Sehnsucht verkörpert: nach mehr aufgeräumtem, geschmackvollem, überschaubarem Raum – mit nur ein wenig sozialem Dreck, Vorfahrt für riesige High-Tech-Kinderwagen, Galerien und Montessori-Schule. Weil dieser verlogene pseudo-minimalistische Kapitalismus auch ihr Wohngebiet in Kreuzberg parasitär befallen hat, sah sich Lisa Herfeldt gezwungen, selbst Parasiten zu züchten, die sich die aktuelle soziale Pampe mal reinziehen.

Die Stoffskulpturen, die sie auf den Ausstellungsraum von Between Bridges zugeschnitten hat, gleichen riesigen, super schlappen, super gelangweilten, desillusionierten Teenager-Zungen. Sie hängen einfach nur ab und nehmen Platz ein. Ab und zu lecken sie am Raum oder der politischen Stimmung, die eher ernüchternd, eigentlich zum Kotzen ist. Herfeldts Skulpturen, die auch etwas eingequetscht aus Plexiglaskästen züngeln, sehen selbst nach Post-Minimal aus. Sie verkörpern tatsächlich dieses Denken und wollen das Politische und das Persönliche in eine reduzierte Form bringen. Zugleich sind sie aber Verwandte von Kuli-Kritzeleien, die man in der Pubertät auf eine Kladde malt, oder der Dali-Lippen-Aschenbecher, die im Kunstunterricht entstehen. Sie sind bewusst regressiv und auch ein bisschen prekär. Der Stoff, aus dem sie gemacht sind, dient normalerweise der Herstellung von Bomberjacken und Schlafsäcken. Man kann aber auch an Kunstledersofas und gesteppte Nylondecken denken, an all die Sachen, die jede Minimal-Bauhausbude verschandeln. Oder an die vollgesogenen Jacken von Leuten, die an einem Wintertag im Schneeregen stundenlang am Kotti stehen. An wattierten Sachen bleibt alles hängen, Feuchtigkeit, Gerüche, Dreck. Herfeldts Zungen könnten als Matten dienen, als Wandschmuck, Fensterisolation. Eines ihrer beigefarbenen Zungenobjekte versperrt den Ausstellungsraum, dass der Schmutz von Schuhen und Kinderwagen unweigerlich daran haften bleibt.

Herfeldt hat in ihren vorherigen Ausstellungen Bodybuilding (2016) und Dream Home Heartache (2017) mit kleinformatigen Stoffskulpturen in Plexiglaskästen gearbeitet. Damals korrespondierten ihre an Würste und Zungen erinnernden Miniaturobjekte mit den Farben und Formen von Anzeigenseiten aus Einrichtungsmagazinen wie World of Interiors oder Homes & Gardens. In social slush gibt es für die Riesenzungen allerdings keinen richtigen Referenzpunkt zu Einrichtung oder Design. Zwar reagieren die Objekte in ihren Proportionen noch auf den Ausstellungsort, aber auch nicht wirklich im Sinne von Minimal-Art. Sie sind eigentlich nur im Weg, unnütz, Anti-Minimal, Anti-Einrichtung, Anti-Verdrängung. Aber vielleicht eigenen sie sich gerade deshalb auch als Tagesdecke für die Untotenkultur.

Text: Oliver Koerner von Gustorf




Weitere Veranstaltung im Rahmen der Ausstellung:

Publication launch: Lisa Herfeldt – social slush
14 Dezember 2019, 14 - 18 Uhr
http://lisaherfeldt.info/


Lisa Herfeldt, social slush. (Photo: Hans-Georg Gaul)
Lisa Herfeldt, Social Slush (Detail), 2019. (Photo: Hans-Georg Gaul)
Lisa Herfeldt, Social Slush (Detail), 2019. (Photo: Hans-Georg Gaul)
Lisa Herfeldt, Social Slush (Detail), 2019. (Photo: Hans-Georg Gaul)
Lisa Herfeldt, Social Slush (Detail), 2019. (Photo: Hans-Georg Gaul)
Lisa Herfeldt, social slush. (Photo: Hans-Georg Gaul)
Lisa Herfeldt, Lilac Licker 2, 2019. (Photo: Hans-Georg Gaul)
Lisa Herfeldt, Lilac Licker 3, 2019. (Photo: Hans-Georg Gaul)
Lisa Herfeldt, The The, 2019. (Photo: Hans-Georg Gaul)
Lisa Herfeldt, Thrusher, 2019. (Photo: Hans-Georg Gaul)
Lisa Herfeldt, Slick Slipping, 2019. (Photo: Hans-Georg Gaul)
Lisa Herfeldt, Futhe, 2019. (Photo: Hans-Georg Gaul)
Lisa Herfeldt, social slush. (Photo: Hans-Georg Gaul)
Lisa Herfeldt, Slithering, 2019. (Photo: Hans-Georg Gaul)

Press on the exhibition:

  • Christiane Meixner, Kunsttipps, Tagesspiegel, 25 November 2019 (DE)

  • Marie-Therese Bruglacher, Kunstgriff, Gallery Talk, 5 November 2019, (DE)