Menu

Juan Pablo Echeverri: Identidad Perdida

27. April - 29 Juli 2023

Between Bridges freut sich, Juan Pablo Echeverri: Identidad Perdida zu präsentierten, eine Einzelausstellung in zwei Teilen in Zusammenarbeit mit James Fuentes, New York.

Die Ausstellung erinnert das Leben und Werk des in Bogotá geborenen Künstlers Juan Pablo Echeverri (1978-2022), dessen umfangreiches Oeuvre als eine Praxis der ständigen Neuerfindung mittels des Genres des Selbstporträts gelesen werden kann. Der Ausstellungstitel (übersetzt Verlorene Identität) bezieht sich auf eine handschriftliche Notiz, die in Echeverris Atelier an der Wand klebte und verweist auf seine Methode, sich einer reduzierten, statischen und essenzialistischen Lesart von Identität zu widersetzen, um vielmehr mit Freude eine Gleichzeitigkeit von Verkörperungen zu feiern.

Während seiner Teenagerjahre begann Echeverri mit einer scheinbar unendlichen Vielfalt an Ausdrucksformen von Identität und Geschlecht zu experimentieren und diese wiederum zu dokumentieren. Dieser Impuls kristallisierte sich bald als ein groß angelegtes Ritual heraus, bei dem er jeden Tag ein Porträt in einer Fotokabine aufnahm und die daraus resultierenden Passbilder über 22 Jahre hinweg sammelte, jedes Mal Neutralität oder sogar Furchtlosigkeit gegenüber seinem eigenen Abbild demonstrierend. Die Serie miss fotojapón (1998-2022) – der Titel ein Wortspiel aus dem Homophon miss / mis (spanisch für mein) und dem kolumbianischen Fotogeschäft Foto Japón – besteht aus einem Konvolut von mehr als 8.000 Porträts, die Echeverri in einer Vielzahl von Variationen, Dimensionen und ortsspezifischen Installationen ausstellte, wobei er eine Auswahl seiner Bilder über die Zeit hinweg, durch Mode kodierte Ausdrücke und verschiedene Formationen kultureller Anerkennung durchmischte, um das transformative Potenzial des Selbst zu verdeutlichen. Für Between Bridges wurden drei Bildtafeln in einer Größe von 1qm realisiert - eine Dimension, die der Künstler in den letzten Jahren für die Präsentation dieser Serie mitfavorisierte - die jeweils mehr als 400 Selbstporträts zeigen.

Diese rituelle Übung vollzog sich parallel zu der Entstehung von mehr als 30 Serien von Foto- und Videoarbeiten, die Echeverris Faszination für das Performative der Identität offenbaren. Sie schreiben ihn in eine Reihe von Künstler:innen ein, die das Medium des seriellen Selbstporträts als Ausdruck einer kontinuierlichen Transformation und als einen Ort der Disidentifizierung erforschen, sowie von solchen Künstler:innen, die eine Ästhetik und Politik der visuellen und sprachlichen Hybridität betreiben, um die Mehrheitsgesellschaft aus einer Position heraus zu verhandeln, in der sie weder Teil noch Nicht-Teil von ihr sind. Indem Echeverri mit einem Sinn für eine gleichermaßen liebevolle wie parodistische Darstellung eine Vielzahl von Stereotypen des Alltags akribisch nachahmt, fantastische Charaktere schafft und die Strategie der Überspitzung anwendet, eignet er sich gleichzeitig das Repertoire der Norm und der Nicht-Norm an, um Normativität an sich zu unterwandern.

Formell wurden die Entwicklungen der Serien von einem Bewusstsein für Raum und Ort bestimmt, während Echeverri das Design und die Konstruktion seiner Rahmungen sorgfältig mitkonzipierte. Echeverri, der über 15 Jahre lang mit einem lokalen Rahmenmacher in Bogotá zusammenarbeitete, ließ sich häufig von seinen Feldforschungen inspirieren und entwickelte aus den fotografischen Serien unikate Objekte und Skulpturen.

MUTILady (2003), für diese Ausstellung in der Form eines Ausstellungsplakats präsentiert und innerhalb Berlins und New Yorks verteilt, war eine eintägige Performance in neun fotografierten Etappen, für die ein Friseur beauftragt wurde, Echeverris Haare immer wieder zu färben und kürzer zu schneiden, bis sie ganz entfernt waren, während sein Torso mit einem anatomischen Abbild der Muskeln unter der Haut versehen war. Während die Dokumentation der Performance auf die besondere Bedeutung von Frisuren als Zeichen der Zugehörigkeit und der Zuneigung zu Subkulturen und Bewegungen verweist, spielt der Titel – der lady nicht nur mit motilar (span. für Abschneiden) und mutation (eng. für Veränderung), sondern auch mit mutilation (eng. für Verstümmelung) verbindet – darüber hinaus auf die politische Dimension der Arbeit und ihre Entstehung in einer Zeit drastischer Gewaltdarstellungen durch paramilitärische Gruppen an, die den öffentlichen Horizont Kolumbiens prägten. MascuLady (2006), eine Mimikry eines in Süd- und Nordamerika verbreiteten Straßenschildes für Friseur:innen, untersucht erneut die Bedeutung von Frisuren für die Gesellschaft, diesmal in Anlehnung an die damals noch populäre aber weiterhin nicht gerade progressive metrosexuelle Ästhetik.

In späteren Arbeiten untersuchte Echeverri die affektiven Dimensionen von digitaler Technologie und Relationalität. Die 60-teilige Serie futuroSEXtraños (2016) ist eine melancholische Meditation über die anonymisierende Schwarz-Weiß-Silhouette, die in den Profilen von Social-Media-Dating-Apps von Personen angezeigt wird, die ihr wahres Gesicht aus den unterschiedlichsten Gründen nicht zeigen wollen oder können. Die wabenförmige und farbenfrohe Serie PRES.O.S. (2017) - der Titel ist eine Anspielung auf das spanische Wort für Gefangene - wirft einen prüfenden Blick auf 37 Identitäten, die Echeverri aus seiner Erinnerung an Menschen in der Öffentlichkeit zusammengetragen hat, die sich in der Interaktion mit ihren Handys verloren haben.

In der unteren Galerie wird eine Auswahl von Echeverris zu Hause gedrehten (Anfang der 2000er Jahre) und selbstproduzierten Musikvideos, die er auf seinen Reisen gedreht hat, als Reel präsentiert. Letztere gehören alle zu seiner Videoserie Around the World in 80 Gays (2007-2015). Sie zeigen ihn tanzend und lippensynchron zu den Top-40-Songs der von ihm besuchten Regionen sowie zu seinen selbstproduzierten spanischen und schwulen Versionen von Popsongs singend und zeugen von einer beindruckenden handwerklichen Fertigkeit und gestischer Präzision, Personen zu verkörpern und zu erfinden, die es ihm ermöglichte, eine endlose Vielzahl von Position einzunehmen.

Identidad Perdida wird von einigen der Personen organisiert, die Juan Pablo Echeverri vermissen: Marcela Echeverri, Federico Martelli, Santiago Monge, Viktor Neumann, Sofía Reyes und Wolfgang Tillmans. In Berlin ist die Ausstellung in die aktuelle Programmreihe THESES ON HOPE eingebettet und greift damit die Überlegungen des kubanisch-amerikanischen Performance-Theoretikers José Esteban Muñoz (1967-2013) zu minoritären und disidentifikatorischen Performances in ihrer welterzeugenden Kraft auf. Der zweite Teil der Ausstellung wird vom 7.Juni - 29. Juli 2023 bei James Fuentes, New York, zu sehen sein. Eine monografische Publikation, die von James Fuentes Press herausgegeben und von Other Means gestaltet wird, informiert über die vielfältigen Werke der beiden Ausstellungen und enthält ein Vorwort von Wolfgang Tillmans, einen Essay von Inti Guerrero und ein Interview mit dem Künstler.


Publikation
Juan Pablo Echeverri
New York City: James Fuentes Press, 2023

Diese Publikation gibt einen Überblick über das visionäre Werk des kolumbianischen Künstlers Juan Pablo Echeverri (1978-2022) und begleitet die Ausstellung Juan Pablo Echeverri: Identidad Perdida, die in zwei Teilen bei Between Bridges, Berlin (April 2023) und James Fuentes, New York (Juni 2023) gezeigt wird. Die Publikation zeigt das umfangreiche Werk beider Ausstellungen, das Echeverris gesamte Karriere umspannt, und enthält ein Vorwort von Wolfgang Tillmans, ein nachgedrucktes Interview mit dem Künstler und einen neuen Essay von Inti Guerrero.

Herausgeber:innen: Laura Brown und Marcela Echeverri
Veröffentlicht 2023 von James Fuentes Press
Gestaltet in Zusammenarbeit mit Other Means, Brooklyn
ISBN 978-1-7365415-8-6, Taschenbuch, 168 Seiten

Press on the exhibition:

William Van Meter, Is the World Ready for the Chameleonic, Virtuosic Legacy of Artist Juan Pablo Echeverri? Here’s His Story, artnet, 24 July 2023

Alice Fisher, Mystery man: the many guises of Juan Pablo Echeverri, The Guardian, 17 June 2023

Andrew Durbin, The Many Faces of Juan Pablo Echeverri, Frieze, 7 June 2023

Ernesto Macias, James Fuentes and Wolfgang Tillmans Remember Juan Pablo Echeverri, Interview Magazine, 7 June 2023

Alastair Curtis, The Chameleonic Self-Portraits of Artist Juan Pablo Echeverri, AnOther Magazine, 7 June 2023

Brigitte Werneburg, Wider alle Essenzen, taz.de, 3 June 2023 (DE)

Adriane Quinlan, Juan Pablo Echeverri’s Searching Self-Portraits, The New York Times, 1 June 2023

Wolfgang Tillmans, Juan Pablo Echeverri’s Subversive and Multifarious Self-Portraits, aperture.org, 4 May 2023

Diane Smyth, Wolfgang Tillmans on Juan Pablo Echeverri’s Lost Identity, British Journal of Photography, 3 May 2023

12 Gallery-Weekend-Highlights, monopol, 28 April 2023 (DE)

Must-see in Berlin, artforum.com, April 2023

Wolfgang Tillmans, WORLDWIDE – Juan Pablo Echeverri (1978-2022) photographed around the globe, BUTT Magazine #31, Autumn 2022